EWS Wirtschaftsdialog in Brüssel (BE), 15. September 2007
EWS Wirtschaftsdialog am 15.09.2007 in Brüssel mit EU-Parlamentspräsident Prof. Dr. Hans-Gerd Pöttering
In entspannter und freundlicher Atmosphäre trafen sich die Wirtschaftssenatoren mit EU-Parlamentspräsident Prof. Dr. Hans-Gerd Pöttering zum EWS-Wirtschaftsdialog in der Landesvertretung Bayerns in Brüssel.
Im Rahmen der EWS-Wirtschaftsgespräche zeichnete EU-Parlamentspräsident Prof. Pöttering den EWS-Präsident, Prof. Dr. Bernhard Friedmann mit der Medaille der Fondation du MERITE EUROPEEN in Gold aus.
Diese Auszeichnung wird Persönlichkeiten überreicht, die sich in besonderem Maße für ein vereinigtes Europa verdient gemacht haben.
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Impulsreferat Prof. Dr. Hans-Gerd Pöttering
Bewertung der Osterweiterung aus wirtschaftlicher Sicht,Notwendige Reformen in der EU
Meine Damen und Herren,
in den vergangenen fünfzig Jahren hat sich vieles verändert, auch unsere Europäische Union hat ihre nach Frieden, Wohlstand und Stabilität strebende Tätigkeit von ursprünglich sechs Staaten auf siebenundzwanzig Mitgliedsländer mit nahezu 500 Millionen Menschen weit ausgedehnt.
Wir können mit Gewissheit feststellen, dass wir in einer aus historischer Perspektive kurzen Zeit - fünfzig Jahre nur - immens viel für die Menschen auf unserem Kontinent erreicht haben. Blicken wir aber nicht nur auf die 50 Jahre Stabilität, Wohlstand und Fortschritt im freien Teil unseres bis 1989 geteilten Kontinents!
Denn eben als die europäische Integration zu einem Kristallisationspunkt der Hoffnung auf Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit wurde, begann auch der lange Leidensweg der Länder Mittel- und Osteuropas unter der kommunistischen Diktatur. Die Wiedervereinigung Europas verdanken wir zuallererst den Menschen, ihrem Mut und dem Freiheitswillen der Völker in der Mitte und im Osten Europas. Nie haben die Menschen die Hoffnung aufgegeben, eines Tages wieder in Freiheit und Demokratie zu leben und ihren angestammten Platz in der Familie der demokratischen Völker Europas einnehmen zu können.
Ich habe das Privileg, mit noch fünf Kolleginnen und Kollegen dem Europäischen Parlament seit seiner ersten Direktwahl anzugehören. Und wenn damals jemand vorausgesagt hätte, du wirst darüber mitentscheiden, dass drei Nationen, die von der Sowjetunion okkupiert sind, nämlich Estland, Lettland und Litauen, dass die Warschauer Pakt Staaten, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, damals die Tschechoslowakei, Ungarn, ebenso wie Bulgarien und Rumänien und auch Slowenien, zum 1. Mai 2004 und Bulgarien sowie Rumänien zum 1. Januar 2007, der Europäischen Union angehören und Bronislaw Geremek, ein großer Europäer und Karlspreisträger unter uns weilt, so hätte ich das nicht geglaubt. Ich bin dankbar dafür, dass wir ihn in den letzten Wochen so nachdrücklich mit Sympathie und Solidarität unterstützen konnten.
Wenn jemand dieses alles vorausgesagt hätte 1979, meine Antwort wäre gewesen, die Mitgliedschaft dieser Länder in unserer Werteunion ist eine Vision. Es ist ein schöner Traum, es ist eine Hoffnung. Aber sie wird wie wir befürchten in unserer Lebenszeit nicht Wirklichkeit. Und deswegen lassen Sie uns all denjenigen sagen, die meinen, die Erweiterung der Europäischen Union sei mit zu vielen Länder und zu schnell gekommen, und ich beziehe die Einheit unseres deutschen Vaterlandes am 3. Oktober 1990 mit ein, dass wir froh und dankbar darüber sein können, dass wir heute in Europa auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte zusammen leben.
Meine Damen und Herren,
darf ich Sie daran erinnern, dass dies nicht nur eine historische Rückbetrachtung ist. Den Weg in die Zukunft können wir nur gehen, wenn wir ihn selbstbewusst, mit dem richten Maß an Leidenschaft und Geduld gehen, nicht aus der Haltung der Naivität sondern aus der politischen Erfahrung mit den hinter uns liegenden Jahren. Und deswegen gibt es allen Anlass zum Optimismus, wenn wir jetzt unseren Weg entschlossen weitergehen.
Am 25. März 2007 haben sich der Europäische Rat, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament gemeinsam auf eine Erklärung in Berlin verpflichtet und darin heißt es:
„Diese (jahrhunderte lange) Hoffnung (auf Frieden und Verständigung) hat sich erfüllt. Sie hat Gemeinsamkeit gestiftet und Gegensätze überwunden. Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint."
Wie ich finde eine schöne und gelungene Formulierung.
Frieden, ein friedliches Zusammenleben ehemaliger Feinde im gegenseitigen Respekt und basierend auf unseren gemeinsamen Werten waren und sind Ursprung und Triebkraft der europäischen Einigung.
Als die Europäische Union sich den Problemen des Balkans zuwandte wurde deutlich, welche gewaltige Leistung die EU dadurch erreicht hat, dass wir in der früheren jugoslawischen Republik Mazedonien, wenn wir den formellen Ausdruck gebrauchen, mitgeholfen haben, eine Verfassung zu schaffen, die es verhindert hat, dass dort Krieg ausgebrochen ist. Und dass ist ein gewaltiger Fortschritt, nicht nur Mazedonien, sondern für die Europäische Union.
Und wenn Sie mir eine weitere, persönliche Bemerkung gestatten. Ich war von 1984 - 1994 Vorsitzender des Unterausschusses Sicherheit und Abrüstung des Europäischen Parlaments. Man hat uns damals belächelt, um nicht zu sagen ausgelacht, als wir mit der Arbeit begannen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln. Ich freue mich, dass mein Kollege und Freund Elmar Brok, der langjährige Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses heute auch unter uns ist. Heute sagen wir, anders als 1984, als man sagte, das gehört nicht in die EWG hinein, wir sind noch nicht weit genug, Außen- und Sicherheitspolitik müssen gemeinschaftlich geregelt werden. Das ist doch ein Antrieb für uns und ermutigend.
Der berühmte spanische Dichter Antonio MACHADO veröffentlichte 1917 eine Gedichtsammlung mit dem Titel Campos de Castilla. In einem dieser Gedichte heißt es:
Caminante, (no hay camino,)
se hace camino al andar.
Al andar se hace camino...
Wanderer, (es gibt keinen Weg,)
Den Weg bestimmst Du beim Gehen,
Im Gehen erst machst Du den Weg...
Es fällt nicht schwer, diese Zeilen auch auf die Situation der Europäischen Union und ihres Entwicklungsprozesses anzuwenden. Kaum etwas in den vergangenen fünfzig Jahren bis heute war absehbar. Das europäische Einigungswerk ging, wie wir wissen, nur schrittweise voran.
Es ging durch Höhen und Tiefen aber mit politischer Entschlossenheit und mit Willen, war es dann doch erfolgreich.
Und an genau einer solchen Weichenstellung stehen wir heute. Wir wissen, dass bedauerlicher Weise die Verfassung in den Niederlanden und in Frankreich abgelehnt wurde. Und wir sagen in aller Entschlossenheit, wir wollen in den nächsten Wochen und Monaten erreichen, dass die Substanz des Verfassungsvertrages verwirklicht wird, weil die Substanz des Verfassungsvertrages notwendig ist, damit diese Europäische Union handlungsfähig wird, damit sie demokratisch ist und damit sie transparent ist. Wir brauchen sie für die Vertretung unserer Werte und Interessen und deswegen wird das Europäische Parlament mit aller Kraft die Präsidentin des Europäischen Rates, Bundeskanzlerin Angela Merkel, unterstützen, dass wir erfolgreich sind.
Und wie geht es jetzt weiter? Es geht bei der Verfassung darum, - und möglicherweise wird sie diesen Namen nicht tragen, was wir bedauern würden, - dass der Ministerrat in allen Fragen europäischer Gesetzgebung nach Mehrheit entscheidet und dass in allen Fragen europäischer Gesetzgebung das Europäische Parlament gleichberechtigt beteiligt wird. Und wir bitten unsere polnischen Freunde und Partner das gefundene System des Abstimmungsverfahrens im Ministerrat nicht in Frage zu stellen. Es ist fair und demokratisch, weil es jedem Land eine Stimme gibt und weil es die Bevölkerungszahlen berücksichtigt.
Der Grundgedanke der Europäischen Union ist das Prinzip der Solidarität. Und die Beziehungen der Völker in der Europäischen Union müssen immer Vorrang haben vor bilateralen Beziehungen eines Mitgliedslandes der Europäischen Union gegenüber einem Staat - ist er noch so groß - außerhalb der Europäischen Union. Und deswegen hoffe ich, dass unsere polnischen Freunde erkennen, dass wir die Frage der Solidarität in der Energieversorgung, die ihnen ja eine so wichtige Frage ist, zu einem großen Thema machen. Und für das Europäische Parlament kann ich erklären, wir stehen an der Seite unserer polnischen Freunde, wenn es um diese Solidarität geht.
Wir brauchen eine Kompetenzordnung die beschreibt, welches sind die Aufgaben der Europäischen Union und was machen die Mitgliedsländer. Und das ist die Substanz und es gehört noch mehr dazu. Aber wir sagen auch, diese Europäische Union, die sich in ihrer Entstehungsgeschichte zunächst gründete auf die Wirtschaft, heute befestigt durch die gemeinsame europäische Währung - wo ständen wir, wenn es sie nicht gebe.
Diese Europäische Union muss sich auch auf Werte gründen. Deswegen besteht das Europäische Parlament darauf, dass der Teil II der Verfassung, in dem es gelungen ist, diese
Werte zu beschreiben, dass diese Werte, die Menschenrechte, die Würde des Menschen, die Demokratie, die Rechtsordnung und auch ein europäisches Recht Wirklichkeit werden.
Wir müssen entschlossen sein, dass wir unsere Ziele erreichen. Und das bedeutet, dass wir auf dem Gipfel am 21. und 22. Juni einen Zeitplan bekommen, wie es weitergehen soll und auch ein klares Mandat sowie Festlegungen in hoffentlich vielen Fragen und in der Sache, damit dann ab dem 1. Juli unter portugiesischer Präsidentschaft eine Regierungskonferenz, an der sich das Europäische Parlament maßgeblich beteiligen wird, zu einer Aushandlung der Rechtstexte kommen kann, die dann vor der Europawahl vor 2009 noch ratifiziert werden können.
Meine Damen und Herren,
dieses mag im Moment alles nicht so wichtig erscheinen. Aber wenn wir jetzt scheitern, dann scheitern wir an der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Deswegen ist das Europäische Parlament und müssen wir alle entschlossen sein, unsere Ziele zu erreichen und die historischen Chancen, die uns gegeben sind, auch zu verwirklichen im Interesse unserer gemeinsamen europäischen Werte und unserer gemeinsamen europäischen Interessen.
Und natürlich geht es auch um politische und institutionelle Fragen. Denn diese institutionellen Fragen sind dazu da, politische Entscheidungen zu ermöglichen. Und ich will nur vier Bereiche kurz nennen, damit ich meine Zeit nicht überschreite, die mir gegeben ist.
Der Gipfel am 7. und 8. März in Brüssel, der Klimagipfel war außerordentlich erfolgreich. Es ist jetzt eine wunderschöne Aufgabe, wenn Europa die Führung in der Welt übernimmt, für die Bewahrung der Umwelt, oder wie ich lieber sage, für die Bewahrung der Schöpfung. Es ist eine wunderschöne Aufgabe, wenn wir in einem gewaltfreien, nicht militärischen Handeln versuchen, Partner zu gewinnen, die Vereinigten Staaten von Amerika, China, Indien und andere. Es ist eine wunderschöne Aufgabe, bei der Europa die Führung übernehmen kann.
Das Zweite, was für alle Zeit eine moralische und damit politische Aufgabe Europas bleibt, ist die Verteidigung der Menschenrechte. Es darf uns nicht kalt lassen, wenn in Europa Journalisten umgebracht werden. Wir müssen immer wieder fordern, dass Mörder, wie im Fall der Anna Politkowskaja, gefasst und ihrem gerechten Richter überstellt werden. Wir müssen unsere Stimme erheben!
Und wir müssen unsere Stimme erheben für die Opposition in Weißrussland, die für das Recht des weißrussischen Volkes streitet, in Freiheit und Demokratie leben zu können.
Und wir müssen unsere Stimme dagegen erheben, wenn in China mehr Menschen durch die Todesstrafe sterben als in der ganzen Welt zusammen.
Und ich sage als Freund Amerikas, - kein Land hat Deutschland so geholfen bei der Einheit unseres Vaterlandes unter Führung des früheren Präsidenten, des Vaters des gegenwärtigen Präsidenten George W. Bush, - um unserer Glaubwürdigkeit Willen, Guantanamo ist mit unserer europäischen Rechtsordnung nicht vereinbar. Jeder Mensch, der eingesperrt wird, selbst wenn er vermutlich ein Terrorist ist, hat nach unserer Rechtsordnung Anspruch auf ein rechtliches Verfahren und das müssen wir auch verlangen.
Lassen Sie mich noch zwei Bereiche kurz ansprechen. Das ist die Nachbarschaftspolitik. Die Europäische Union hat heute mit 500 Millionen Menschen eine Größe erreicht, die uns zu der Frage führt, wie weit kann die Erweiterung noch gehen? Und wir sind uns einig im Europäischen Parlament, dass es vielleicht mit Ausnahme Kroatiens keine Erweiterung geben kann, wenn wir nicht die Reform der Europäischen Union bekommen. Wir sagen auch, mit denen wir verhandeln, muss weiter verhandelt werden. Aber wir müssen uns die Frage stellen, kann es mit der Erweiterung der Europäischen Union immer so weiter gehen oder müssen wir nicht zumindest für eine längere, überschaubare Zeit auch eine Konsolidierung der EU erreichen und müssen über neue Formen der Partnerschaft mit unseren Nachbarn nachdenken.
Und meinen abschließenden Punkt zu den Politiken der Europäischen Union widme ich dem Dialog der Kulturen. Es hat in Brüssel erstmalig durch die drei europäischen Institutionen ein Gespräch gegeben mit den großen religiösen Gemeinschaften in der Europäischen Union, den christlichen Gemeinschaften, der jüdischen Gemeinschaft und der islamischen Gemeinschaft.
Für mich war es ermutigend zu erleben, dass alle Teilnehmer, ob Moslems, Juden oder Christen, gesagt haben, die Menschenwürde ist der Kern. Und weil die Menschenwürde der Kern ist, sind wir gegen den Terrorismus und sind für Toleranz unter den Kulturen.
Und unsere Aufgabe besteht darin, dass wir nicht daran glauben, dass der Clash of Civilizations zwangsläufig ist. Sondern wir vertrauen darauf und müssen politisch darauf hinwirken, dass die Partnerschaft, die Zusammenarbeit und wenn es möglich ist auch die Freundschaft mit den arabischen und islamischen Staaten verwirklicht wird. Das schließt eine entschlossene
Bekämpfung des Terrorismus im Übrigen überhaupt nicht aus, sondern wir müssen gemeinsam mit den Friedliebenden auch in der arabischen und islamischen Welt den Terror bekämpfen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Gerade wenn wir über die Aufgaben der Europäischen Union von morgen sprechen, ist es unsere vornehmste Aufgabe, diejenigen zu gewinnen und zu begeistern, die dieses Europa von morgen tragen sollen: Die jungen Menschen.
Der jungen Generation bietet das Vereinte Europa heute Chancen, von denen die älteren Generationen, die die Schlachtfelder zweier Weltkriege miterleben mussten, nicht einmal zu träumen wagten.
Während aber viele zentrale Errungenschaften Europas von der Jugend zunehmend als selbstverständlich angesehen werden, ist gleichzeitig unübersehbar, dass eine wirkliche gemeinsame europäische Identität noch nicht existiert. Deshalb müssen wir insbesondere die jungen Menschen zur Entwicklung eines europäischen Bewusstseins und zur aktiven Mitgestaltung Europas anregen.
Schon heute gibt es eine Vielzahl von Beispielen, wie gerade junge Menschen das Vereinte Europa ganz konkret vorleben. Und ich hielte es für sehr wünschenswert, wenn sich die Gremien des Europäischen Parlaments und der Karlspreisstiftung dazu verstehen könnten, besonders herausragende und vorbildliche Projekte dieser Art in Form einer neuen, für die Jugend geschaffenen Auszeichnung gemeinsam zu prämiieren.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf jenes Gedicht von Antonio Machado zurückkommen: "Wanderer, den Weg bestimmst Du beim Gehen."
Die Europäische Union hat in den vergangenen fünfzig Jahren ein gutes Stück des Weges zurückgelegt. Zahlreiche Persönlichkeiten dieses vereinten Europa können stolz sein auf ihren Einsatz, ihre Bereitschaft zu gehen und im Gehen den Weg zu finden. Viele sind heute unter uns.
Ich wünsche mir - dass wir diesen Weg weitergehen werden, so dass wir gemeinsam unseren europäischen Traum verwirklichen können. Das ist mein Wunsch für Sie und uns alle.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!