Pressestatement Kommissionssitzung WiPo
Wirtschaftsgespräche der Kommission Wirtschaft und Politik des Europäischen Wirtschaftssenats e.V. (EWS) am 14. Januar in Bonn
EWS fordert die Bundesregierung auf: Die verbleibenden Monate der Legislaturperiode für einen Endspurt nutzen
Reformen bei den politikrelevanten Wachstumstreibern angemahnt / Deutschland bislang deutlich unter seinen Wachstumsmöglichkeiten geblieben / Derzeitige wirtschaftliche Situation rechtfertigt außergewöhnliche Maßnahmen seitens des Staates / Rad muss allerdings rechtzeitig zurückgedreht werden.
Ungeachtet der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise muss Deutschland seinen Reformkurs der vergangenen Jahre nicht nur fortsetzen, sondern sollte das Tempo sogar noch deutlich beschleunigen. Dr. Rolf Kroker, Geschäftsführer und Leiter des Wissenschaftsbereichs Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), fand während der Wirtschaftsgespräche der Kommission Wirtschaft und Politik des Europäischen Wirtschaftssenats e.V. (EWS) zum Thema ‚Reformen in Europa – Wo steht Deutschland?’ am 14. Januar 2009 in Bonn deutliche Worte. „Deutschland ist zwar dank der Reformen der rot-grünen Bundesregierung und der Großen Koalition ein gutes Stück weit vorangekommen, hat einen Großteil seiner Hausaufgaben bislang allerdings nicht gemacht – zumal die derzeitige Regierung das Rad der Reformen seit etwa Mitte 2007 sogar wieder zurückgedreht hat.“
Trotz der Euphorie der vergangenen Jahre stehe unser Land im internationalen Vergleich nicht gut da. So sei Deutschland im Hinblick auf seine globale Wettbewerbsfähigkeit von Rang sechs in 1995 auf Rang 16 in 2008 abgerutscht. Vor diesem Hintergrund müsse die Bundesregierung alles daran setzen, insbesondere das ‚Potenzialwachstum’ signifikant zu stärken – also den Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP), den Deutschland bei normaler Auslastung der vorhandenen Kapazitäten längerfristig realisieren kann. Dr. Kroker bezifferte das deutsche Potenzialwachstum auf aktuell etwa 1,5 %. „Angesichts dieses Wertes ist hierzulande kein nachhaltig starkes Wirtschafts- und Wohlstandswachstum möglich“, legte der IW-Geschäftsführer den Finger in die Wunde. Im EU-Vergleich verzeichne Deutschland bezogen auf die Jahre 2000 bis 2008 einen Wachstumsrückstand von etwa 13,5 %. Dr. Kroker: „Das bedeutet, Deutschland hätte im vergangenen Jahr ein um etwa 320 Mrd. Euro höheres BIP erwirtschaften können, hätten unsere Regierungen rechtzeitig den Mut zu weit reichenden Reformen gehabt.“
Laut der EWS-Studie hatten die bisherigen Reformen der beiden letzten Bundesregierungen an dem in den vergangenen Jahren erzielten Wachstum und Beschäftigungszuwachs einen maßgeblichen Anteil. Das habe das vom EWS in Auftrag gegebene IW-Gutachten ‚Reformpolitik und Privatisierungspolitik im europäischen Vergleich’ von 2008 deutlich aufgezeigt. Deshalb sollte die Bundesregierung die verbleibenden Monate ihrer Amtszeit beherzt dafür nutzen, mit durchgreifenden Reformen die Weichen weiter in die richtige Richtung zu stellen. Konkrete Maßnahmen schlägt das IW in erster Linie im Hinblick auf die zentralen politikrelevanten Wachstumstreiber vor, die Investitionen von Unternehmen fördern, höhere staatliche Investitionen ermöglichen, über Aus- und Bildungsmaßnahmen die Qualität des ‚Humankapitals’ erhöhen, Steuern und Sozialabgaben für Unternehmen und Bürger reduzieren, das staatliche Defizit zurückführen und langfristig die Arbeitslosigkeit abbauen.
Angesichts der Dimension der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise, deren Ausmaß und Dauer derzeit wohl niemand zuverlässig prognostizieren könne, begrüßte der EWS das schnelle Handeln der Regierungen in aller Welt. „Im Augenblick ist pragmatisches Handeln für die Aufhellung der Perspektive sicherlich ein Stück weit gefragt.“ Dennoch bleibe ein ungutes Gefühl, da „wir dem Staat so schnell und bereitwillig neue Handlungsspielräume eröffnen.“ Zudem ist man im EWS skeptisch, dass die geplanten Maßnahmen zum Teil kurzfristig wirksam werden können. Beispielsweise wird im Hinblick auf die Förderung von Investitionen in die Infrastruktur bezweifelt, dass die Kommunen über ausreichend sinnvolle Planungen verfügen, die kurzfristig in reale Projekte umgesetzt werden können. Aus Sicht des EWS wird es von entscheidender Bedeutung sein, das Rad später rechtzeitig zurückzudrehen. Sicherlich sei zu erwarten, dass die weltweit vielen Konjunkturprogramme der Konjunktur kurzfristig dringend benötigte Impulse geben werden. Mittel- und langfristig schwäche die aktuelle, auf zusätzlichen Schulden basierende Politik dagegen die Wachstumschancen.
EWS-Präsident Prof. Dr. Bernhard Friedmann wies darauf hin, dass viele der geplanten Maßnahmen der bisherigen Privatisierungspolitik entgegenlaufen. Zudem äußerte er die Sorge, dass mit ihnen Ressourcen für dringend erforderliche Reformen vergeudet werden. „Auch muss man die Frage stellen, ob hinter den ordnungspolitischen Aktivitäten der Regierung ein Konzept steckt, oder es sich um bloßen Aktionismus handelt.“
Über den Europäischen Wirtschaftssenat e.V. (EWS)
Der Europäische Wirtschaftssenat e.V. (EWS) ist ein europäisches Netzwerk erfolgreicher Unternehmen und Persönlichkeiten, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen den politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung stellen. Wettbewerb und Konkurrenzdenken innerhalb des Gremiums gibt es nicht, da für jede Branche nur ein Mitglied zugelassen wird. Qualität vor Quantität ist das Motto. Unternehmensgrößen spielen dabei keine Rolle. Der Zusammenschluss soll die Interessen der gesamten Wirtschaft vertreten – also von Unternehmen aller Größenordnungen gleichermaßen. Präsident des EWS ist Prof. Dr. Bernhard Friedmann, langjähriges Mitglied des Bundestags in Bonn und ehem. Präsident des Europäischen Rechnungshofs in Luxemburg. Gründungsmitglieder sind unter anderem der Bund der Steuerzahler in Bayern und die Taxpayers Association of Europe (TAE) mit mehr als 1 Mio. Mitgliedern. Das Generalsekretariat des EWS mit Generalsekretär Wolfgang Franken ist in Bonn angesiedelt: Tür an Tür mit den Ministerien und Behörden für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit sowie in unmittelbarer Nähe zu Großunternehmen und der UN.