EWS Wirtschaftsgespräche in Köln (D), 21. Februar 2008

EWS-Wirtschaftsgespräche in Köln

am 21.02.2008 im Rathaus  -Ratssaal-  der Stadt Köln
mit Prof. Dr. Michael Hüther, Leiter des Instituts der deutschen Wirtschaft

Themen:
Reformpolitik in Europa (Schwerpunkt: Arbeitsmarktpolitik),
Privatisierungspolitik in Europa

Leitung: Prof. Dr. Bernhard Friedmann, EWS Präsident
Gastreferent:
Prof. Dr. Michael Hüther, Leiter des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln
Ehrengast
Fritz Schramma, Oberbürgermeister der Stadt Köln
Teilnehmer:
EWS-Wirtschaftssenatoren (Teil 1 + Teil 2)
Gäste, Wirtschaftsbotschafter der Stadt Köln, (Teil 1)
Gäste, Repräsentanten erfolgreicher Unternehmen (Teil 1)

Programm (Teil 1)

10.30 Uhr

  • Einlass, Registrierung (Konrad-Adenauer-Saal)

11.00 Uhr

  • Begrüßung Prof. Dr. Friedmann
  • Grußwort des Oberbürgermeisters Fritz Schramma
  • Privatisierungs- und Reformpolitik (Schwerpunkt Arbeitsmarkt) im europäischen Vergleich (Prof. Dr. Hüther)
  • Demographischer Wandel: Eine nationale und europäische Herausforderung, vorgestellt von Prof. Dr. Norbert Szyperski, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats.
  • Unternehmen stellen sich vor:
    - Sixt AG, Herr Frank Feist, Direktor Vertrieb,
    - WTC - Deutschland, Herr Dietmar R. Goetz, Präsident

13.00 Uhr

  • Gemeinsames Buffet

Programm (Teil2)

13.30 Uhr

  • EWS-AWARD 2007 (Nominierung)
  • Wirtschaftsthemen in 2008
  • Veranstaltungsplanung für 2008 (bitte Vorschläge betreffend Gastreferenten, Tagungsorte und Themen einreichen)
  • EWS - Forschungsauftrag
  • Termine für 2008
  • Sonstiges

16.00 Uhr

  • Individuelle Abreise

 

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Kurzprotokoll

TEIL 1

 

  • Begrüßung der Teilnehmer, Ehrengäste und Referenten sowie Vorstellung der slowakischen Delegation durch Prof. Friedmann, Präsident des EWS.
  • „Wirtschaftsstandort Köln“Grußworte des OB Fritz Schramma, Ehrensenator des EWS.
  • Impulsreferat von Prof. Hüther, Leiter des Instituts der dt. Wirtschaft in Köln.
  • Forschungsauftrag: „ Reform-(speziell Arbeitsmarkt) und Privatisierungspolitik im europäischen Vergleich“
    Anregungen zum Inhalt:
    a) Feststellung der aktuellen Standards zwischen den Ländern innerhalb Europas und zu China und Indien.
    b) Bedeutung eines europäischen Betriebsrates in den Unternehmen.
  • Vorstellung des Projekts: Demographischer Wandel (gesellschaftliche Veränderungen, wirtschaftlicher Bezug und politischer Auftrag) durch Prof. Szyperski, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates im EWS.
  • Unternehmen stellen sich vor:a) Sixt AG durch Frank Feist, Direktor Vertrieb,
  1. b)World Trade Center Köln (WTC) durch Dietmar Goetz, Präsident

TEIL 2

  • Ehrung neuer Mitglieder und Verleihung der Berufungsurkunden an:
    Peter H. Buckmann, Pegasus Dienstleistungen GmbH in Münster,
    Dipl. Ing. Norbert Gauß, Berger Lahr GmbH & Co. KG in Lahr.
  • Situationsbericht der Slowakischen Sektion und der Kontakte zu Ungarn und der Tschechoslowakei.
    Veranstaltungspläne der EWS-Kommission Land- und Lebensmittelwirtschaft im Herbst 2008 in Bratislava durch Ivan Carnogurský, Vizepräsident des EWS.
  • Veranstaltungspläne 2008:
    1. Frühjahr 2008 mit Bundesminister Olaf Scholz in Berlin,
    2. Juni 2008 EWS-AWARD an Matthias Wissmann in Frankfurt,
    3. Oktober 2008 Mitgliederversammlung in Köln mit Kardinal Meissner und Rahmenprogramm für Partner
    4. Kommission Agrar- und Lebensmittelwirtschaft in Bratislava
    5. Regionale Veranstaltungen mit Politikern oder bekannten Persönlichkeiten der Regionen
    6. Erfahrungen der Wirtschaft mit der Osterweiterung (Antrag des Vizepräsidenten)
  • Vorstellung „Das Kraftpaket“ durch Dr. Denner, Wirtschaftssenator des EWS.

 

 

 

Impressionen:


Begrüßung des Ehrengastes Fritz Schramma, Oberbürgermeister der Stadt Köln
und Ehrenwirtschaftssenator des EWS

Podium

 

v.l. Prof. Dr. Michael Hüther, Prof. Dr. Norbert Szypersli

 

EWS-Präsident Prof. Dr. Bernhard Friedmann, Oberbürgermeister Fritz Schramma

 

Teilnehmer im Ratssaal der Stadt Köln

 

Teilnehmer im Ratssaal der Stadt Köln

 

Ernennung neuer Wirtschaftssenatoren

Mitte v.l. Peter H. Buckmann und Dipl.Ing. Norbert Gauß

 

Frank Feist, Direktor Vertrieb der Sixt AG

 

Dietmar Goetz, Präsident des WTC, World Trade Center Köln

 

 

Mitglieder der slowakischen Delegation

 

 

Impulsreferat von Prof. Dr. Michael Hüther

Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.

 

 

Wirtschaftspolitik im transparenten Kapitalismus: Kontinuierliche Verbesserung, Agenda 2010: Wirtschaftspolitische Wende aus Not

 

Unternehmen müssen sich laufend anpassen. Der Marktdruck gewahrt im globalen Standortwettbewerb immer weniger die Chance, in ruhigen Phasen die überkommenen Strukturen fortzuschreiben. Wahrend der rheinische Kapitalismus auch Schonraume kannte, die jenseits des Marktes nach anderen Kriterien organisiert waren, in jedem Fall aber erlaubte, der direkten Anpassung für eine gewissen Zeit zu entgehen, gilt dies heute nicht mehr. Der transparente Kapitalismus, der unternehmerisches Handeln unweigerlich im Lichte des internationalen Kapitalmarkts bewertet, lässt beständig keine Ruhe. Die enormen Entwicklungsunterschiede der am Standortwettbewerb über Faktor Änderungen beteiligten Volkswirtschaften einerseits und die zunehmende Kapitalmarkt-orientierung der Unternehmensfinanzierung andererseits haben eine neue Qualität des Wettbewerbs und eine früher nicht gekannte Beschleunigung des Wandels begründet. Die Unternehmen müssen stärker als früher ihre Geschäftsplane begründen und rechtfertigen. Die kontinuierliche Verbesserung ist unabweisbar, Restrukturierung und Expansion müssen gleichzeitig geleistet werden.

Völlig anders ist unverändert die Wirtschaftspolitik orientiert. Ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess ist der politischen Entscheidungsfindung und ihrer Zeitlogik fremd. Sie vollzieht sich in Sprüngen, je nach Wahlterminen und Krisenfolge getaktet. So ist auch die Agenda 2010 zu erklären. Die Wirtschaftspolitik der damaligen Bundesregierung war in eine (60. Jahrgang – ifo Schnelldienst 23/2007) Sackgasse geraten. Zugleich verlief die gesamtwirt-schaftliche Entwicklung immer schlechter, nachdem bereits die neunziger Jahre für Deutschland ein verlorenes Jahrzehnt gewesen waren. Gemessen an der Dynamik erfolgreicher und wachstumsstarker Volkswirtschaften hatte Deutschland im Jahre 2003 beim Preisbereinigten Bruttoinlandsprodukt auf fast 3 500 € je Einwohner verzichtet (vgl. Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2005a, 9 ff.). Reformstau war bereits1997 das Wort des Jahres gewesen.

Nach dem Platzen der New-Economy-Blase und den Unsicherheiten über einen Irakkrieg war der Vertrauensverlust bei Investoren und Konsumenten jedoch dramatisch. Die Politik der im September 2002 wieder gewählten Regierung vermochte diesen Mangel an Vertrauen nicht durch Erwartungsstabilisierung zu kompensieren. Als der Bundeskanzler am 14. März 2003 die Agenda 2010 vor dem Bundestag vorstellte1, war die Reaktion von Seiten der Ökonomen jedoch allgemein verhalten, ein Durchbruch wurde nicht attestiert.

Umso heftiger – und danach eigentlich kaum verständlich – war die öffentliche Reaktion in Form wieder belebter Montagsdemonstrationen, als die Konsequenzen der Agenda deutlicher und von interessierter Seite demagogisch zugespitzt wurden. Dabei entsprach das Reformprogramm in weiten Teilen den Vorstellungen, die der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 2002/03 dargelegt hatte (vgl. Sachverständigenrat 2002, Ziffern 433 ff.) Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen, mit diesen Worten skizzierte der Bundeskanzler den Reformkurs.

Tatsachlich hat die Bundesregierung eine Veränderung der sozialen Sicherung und damit auch für den Arbeitsmarkt eingeleitet, die durchgreifender war als alle Maßnahmen in den Jahrzehnten zuvor. So wurde das System der sozialen Sicherung durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitsuchende am unteren Scharnier grundlegend neu justiert. Zugleich wurde die Arbeitslosenversicherung starker auf ihren Kern als Risikoversicherung zurückgeführt.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf grundsätzlich zwölf Monate und eine ansatzweise Deregulierung beim Arbeitsvertragsrecht haben lange geforderte Veränderungen gebracht (vgl. Hüther und Scharnagel 2005). Die Beurteilung dieser Reformen muss sich an den Wirkungen auf Beschäftigung und Wachstum ebenso orientieren wie an den Bedingungen konsistenter Wirtschaftspolitik im globalen Standortwettbewerb.

 

Kein gewöhnlicher Aufschwung:
Weltwirtschaftlicher Impuls mit unerwarteter Breitenwirkung

 

Die deutsche Volkswirtschaft ist nach der Jahresmitte 2003 auf einen zunächst mühsamen und weithin nicht anerkannten Erholungspfad eingeschwenkt. Bereits im dritten Quartal 2003 begannen die Produktion wieder zu expandieren und der Zugang in Arbeitslosigkeit zu schrumpfen. Getragen durch eine auf hohem Niveau stabil expandierende Weltwirtschaft konnten die deutschen Unternehmen kräftig Umsatz und Ertrag ausweiten. Dabei wirkte sich auch die gewonnene preisliche Wettbewerbsfähigkeit aus, die nicht zuletzt durch eine seit dem Jahr 1997 moderate, über positive Beschäftigungseffekte den Konsum stutzende Lohnpolitik unterlegt war (vgl. Lesch 2007). Dennoch hat es bis zum Jahr 2005 gedauert, bis die Konjunktur wieder richtig Fahrt gewinnen konnte (vgl. Gromling, Plunnecke und Scharnagel 2007).

Niemand bezweifelt, dass der Aufschwung ohne den weltwirtschaftlichen Impuls nicht zustande gekommen wäre. Gleichwohl zeigt das gestiegene Potentialwachstum, dass neben konjunkturellen Momenten auch strukturelle Faktoren gegriffen haben. Die Breite und Tiefe, die der Aufschwung mittlerweile vor allem über den Arbeitsmarkt gewonnen hat, verweist auf Erklärungsbeiträge der Politik. Sowohl die Analysen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) wie auch der Deutschen Bundesbank aus diesem Herbst deuten darauf hin, dass der nach dem Beginn des Jahrzehnts auf rund 1% abgesackte Wachstumstrend sich wieder spürbar erhöht hat (vgl. Gromling, Plunnecke und Scharnagel ifo Schnelldienst 23/2007 – 60. Jahrgang)

 

Wachstumspfad in Deutschland

Veränderung des tatsächlichen BIP gegenüber dem Vorjahr in % 1. Regierungserklärung „Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung“ von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 15/32, Berlin 2003. (Deutsche Bundesbank 2007). Beide Untersuchungen ermitteln für den aktuellen Rand einen Potentialpfad von knapp 13/4% Inwieweit dieser Anstieg durch welche Faktoren erklärt werden kann, muss freilich in einem Unschärfebereich verbleiben. Dennoch lassen sich Größenordnungen ermitteln, wenn in dem Zusammenhang eines Wachstumsmodells und den dafür ermittelten relevanten Treibern des Wachstums argumentiert wird (vgl. zum Wachstumsmodell Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2005a, 17 ff.). Danach lässt sich in etwa ein Drittel der Wachstumsstärkung auf die Wirtschaftspolitik zurückführen. Die arbeitsmarktpolitischen Veränderungen, die mobilisierten Investitionen der Unternehmen und der gesunkene Finanzierungssaldo im Staatshaushalt sind dafür wesentliche Faktoren gewesen (vgl. Gromling, Plunnecke und Scharnagel 2007). Dieses Ergebnis lässt sich systematisch mit den Aussagen des IW-Reformbarometers verknüpfen, mit dem seit der Bundestagswahl 2002 die Reformpolitik der Regierung in den Bereichen Arbeitsmarkt, soziale Sicherung sowie Finanzen und Steuern beurteilt wird. Ein solches Instrument dient der zeitkonsistenten und disziplinierten Abschatzung von Politikfolgen, es bezieht sich auf die Initiativen von Regierung und Parlament, nicht lediglich auf verabschiedete Gesetze; die Bewertungen orientieren sich jeweils am Status quo, nicht an einer ordnungspolitischen Referenzagenda.2 Der Treiber der reformpolitischen Besserung war die Arbeitsmarktpolitik, und zwar sowohl die passive wie die aktive, unterstutzt durch kleinere Deregulierungsschritte beim Kündigungsschutz und der Zeitarbeit; dagegen verblieb die Sozialpolitik nahezu unbeweglich in der Jahren seit 2005, wahrend die Finanz- und Steuerpolitik insgesamt seit Frühjahr 2006 eine wichtige Unterstutzung leistet (vgl. Abb. 2). Diese Einschatzung entspricht auch den Ergebnissen der Bundesbank-Analyse, die einen wesentlichen Beitrag der Arbeitsmarktreformen für die Kräftigung des Wachstums identifiziert, der den Wirkungsgrad der seit längerem moderaten Lohnpolitik erhöht habe (vgl. Deutsche Bundesbank 2007, 41 ff.). Doch ebenso richtig ist der Hinweis der Bundesbank, dass ein Potentialpfad von knapp 13/4% nicht befriedigen kann und ein Trend von 2% nicht ambitioniert erscheint. Daraus leitet sich ab, dass die Stärkung der Wachstumskräfte unverändert die zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung darstellt.

 

Antworten auf die Frage nach der Gerechtigkeit

 

Trotz der Tatsache, dass die Reformpolitik der Agenda 2010 nun nicht mehr mit dem Hoffnungswert einer Besserung begründet werden muss, sondern auf die beobachtbaren positiven Effekte vor allem bei der Beschäftigung verweisen kann, werden Änderungen vielfach als notwendig erachtet. Bei der Frage nach der Reform der Reform lassen sich verschiedene Zusammenhange konstruieren. – Optimierungsforderung: Nahe liegend ist stets die Forderung, erkannte Mangel aus der Umsetzung zu revidieren und als nicht praktikabel identifizierte Regelungen zu überprüfen. Gerade die konkrete Ausgestaltung vieler Details aus der Integration von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die der Hektik des Vermittlungsausschusses anheim gefallen war, hat zu einer solchen Bewertung und entsprechend bereits zu gesetzgeberischen Konsequenzen geführt.

 

Erweiterungs- und Fortführungsforderung: Die Wirtschaftspolitik – darauf wurde schon hingewiesen – neigt nicht zu kontinuierlichen Anstrengungen. Die konzeptionelle Weiterentwicklung eines Reformpakets, das die verantwortliche Regierungspartei fast vollständig um die politische Macht gebracht hatte, stellt erst recht eine Überforderung der Politik dar. Dennoch druckt der globalisierte Standortwettbewerb in diese Richtung. Im Umfeld der Bundestagswahl 2005 wurden entsprechende Reformprogramme vorgestellt (vgl. Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 2005a; 2005b).

 

Teilindikator des IW-Reformbarometers

 

September 2002 = 100 Verbesserung, Verschlechterung

Am 1. August 2006 trat der erste, am 1. Januar 2007 der zweite Teil des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende? in Kraft (Bundesgesetzblatt, Jahrgang 2006, Teil I, Nr. 36, 25.07.2006). Das Fortentwicklungsgesetz enthält rund 50 Änderungen, darunter auch Leistungskurzungen, verschärfte Sanktionen und Zugangsverschärfungen für das ALG II (insbesondere für Bedarfsgemeinschaften). 2 Vgl. Scharnagel, Mahlich und Beck (2006, 10 ff.). Der Erfolg des Reformbarometers hat seit 2005 zu einer Dreiländer-Kooperation mit der Wirtschaftskammer Osterreich und Avenir Suisse geführt, die vergleichend Reformstrategien dieser Länder analysiert. Im Herbst 2007 stand das Analysetool im Rahmen eines von der Weltbank finanzierten Projekts Pate für einen Reformindikator in Ägypten grundsätzlich falsch ist und nicht zu einer Besserung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nachhaltig beitragen kann, ergeht die Forderung, einen nachfragepolitischen Schwenk herbeizuführen.

Genug gespart, Ende der Zumutungen und ähnlich lauten die Überschriften.

Der Wirtschaftspolitik wird ein anderes Paradigma angeboten. Allerdings bleibt stets unklar, was die Vertreter dieser Position heute als Nachfragepolitik verstehen, die über den Stehsatz, die Zinsen sind zu hoch, und über die Forderung, bei angebotspolitischen Reformen die gesamtwirtschaftliche Lage zu berücksichtigen, hinausgeht. – Fundamentale Revisionsforderung: Fundamentale Kritik kann nicht verwundern, wenn der Gesetzgeber sich dazu entschließt, Überkommenes aufzugeben, das aber dereinst im Zeichen des Fortschritts erreicht, wenn nicht erkämpft worden war. Die Agenda 2010 steht in diesem Sinne nicht nur für eine Neujustierung der sozialen Sicherung, sondern stellt für viele einen Frontalangriff auf bestimmte Wertstrukturen dar. Als neoliberale (Konter-)Revolution etikettiert mobilisierte die Agenda 2010 den Widerstand auf der Straße. Ein eklatanter Verstoß gegen die soziale Gerechtigkeit? wurde reklamiert. Unstreitig sollte angesichts der greifbaren Wirkungen der

Reformen die Optimierungsforderung sein. Es bestehen weiterhin Anreizstrukturen beim Arbeitslosengeld II, die sich nicht konsistent in die Logik des Forderns und Forderns einfugen. Dazu zahlt die unverändert aus der Regelung für Mini- und Midijobs resultierende Begünstigung der Teilzeitbeschäftigung. Negativ auf die Leistungsanreize wirkt ebenso der Zuschlag nach § 24 SGB II, den ein Empfänger von Arbeitslosengeld II befristet erhalt, wenn er zuvor Arbeitslosengeld I bezogen hat. Der Zuschlag betragt grundsätzlich zwei Drittel des Unterschieds beider Leistungen und verursacht eine Anreizfalle, da je nach Haushaltsgröße die Erhöhung des Bruttoeinkommens zu einer Minderung des verfügbaren Einkommens fuhren kann. Nicht anders sind die ?Ein-Euro-Jobs? nach § 16 (3) SGB II zu werten, die allenfalls als Test der Arbeitsbereitschaft geeignet sind, keinesfalls aber die Eingliederungsaussichten in den ersten Arbeitsmarkt verbessern. Hinsichtlich der Regulierung der Arbeitsverträge konnte zumindest eine Überlegung wiederaufleben, die bereits im März 2005 von der früheren Bundesregierung aufgegriffen worden war, nämlich das unbedingte Verbot der Vorbeschäftigung fur sachgrundlos befristete Beschäftigungsverhältnisse aufzuheben.

Neben dieser Optimierung ist eine Weiterentwicklung der Reformagenda unabdingbar. Doch anstatt für eine kontinuierliche Verbesserung zu arbeiten, hat die Bundesregierung in diesem Sommer eine reformpolitische Wende eingelautet.

Die Pflegereform ist ausschließlich mit einer Ausweitung der Leistungen und Erhöhung der Finanzierungsbeitrage verbunden, nicht aber mit einer Struktur Veränderung. Ebenso signalisiert das Vorhaben der Bundesregierung, flächendeckend Branchenbezogene Mindestlohne einzuführen, nicht nur eine Abkehr von den bisherigen Arbeitsmarktreformen, die mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende prinzipiell ein Kombieinkommensmodell geschaffen haben (vgl. Sachverständigenrat 2006), sondern auch die Bereitschaft, Beschäftigung zu gefährden (vgl. Lesch 2004). Schließlich dokumentiert die beschlossene Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I für altere Arbeitnehmer die völlige Ignoranz der Politik gegenüber den empirisch belegten Zusammenhangen. Positiv verbleibt einzig die weitere Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung.

Die notwendige Weiterentwicklung der Reformpolitik muss dagegen Stichworten folgen, die sich aus wachstumstheoretischen Erwagungen ableiten (vgl. im Detail Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2005b, 25 ff., 45 ff., 54 ff., 66 ff.). Zur Mobilisierung von Beschäftigung sind die Gesetzliche Krankenversicherung und Pflegeversicherung vom Arbeitsvertrag zu entkoppeln, der Kündigungsschutz und die Mitbestimmung zu reformieren. Zur Stimulierung von Investitionen muss das Steuersystem auch nach der Unternehmensteuerreform 2008 investitionsfreundlicher gestaltet und die Erbschaftsteuer abgeschafft werden. Die Bildung von Humankapital ist durch einen forcierten Ausbau von Ganztagsschulen, die weitere Stärkung der frühkindlichen Bildung, die Flexibilisierung der Berufsausbildung und eine effiziente nachfrageorientierte Studienfinanzierung zu stärken. Schließlich ist die Konsolidierung der Staatshaushalte beschleunigt voranzutreiben. Es ist kein überzeugendes Handeln der Bundesregierung, wenn für das Jahr 2008 trotz mit 16,6% steigenden Steuereinnahmen sowie konjunkturbedingten Entlastungen auf der Ausgabenseite ein Defizit von 12 Mrd. € geplant wird. Diese nur stichwortartig benannte Agenda wird freilich – das haben die Proteste gegen die bisherige Reformpolitik deutlich gemacht – politisch nur umsetzbar sein, wenn zugleich der damit verbundene Begriff der sozialen Gerechtigkeit offensiv beworben wird. Es geht um die Partizipationsgerechtigkeit, die zuerst und vor allem uber eine effektive Bildungspolitik sowie Wettbewerbspolitik realisiert werden sollte; erst dann greift subsidiar die Sozialpolitik als Ausfallbürgschaft. (vgl. Hüther und Straubhaar 2007, 15 ff.).

Wenn die Politik den Mut nicht aufbringt, diese Themen von sich aus zur Diskussion zu stellen, dann wird das Handeln entlang wachstumspolitischer Argumente kaum mehr gelingen. Verantwortungsethik und Leistungsgerechtigkeit müssen eingefordert werden, wenn wir nachhaltig erfolgreich sein wollen. Im transparenten Kapitalismus benötigen wir Klarheit über die normativen Grundlagen der Wirtschaftspolitik. ifo Schnelldienst 23/2007 – 60. Jahrgang

Michael Hüther*

* Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.